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Wortschöpfendes Ich [stumm]: Netzhautflirren, Schwindel, Schwimmhäute zwischen den Fingern, der Stift fällt auf den Boden, rollt übers Parkett, bleibt unterm Sofa liegen und weist auf die Falltür, die durch den Kaninchenbau ins Innere führt / NON-VOYANTE / BALBUTANTE
Outfit zur Verteidigung des künstlerischen Selbstverständnisses, identitätsstabilisierend, Vorsichtsmassnahme auch Sturzschutz, falls Frage das Gleichgewicht, Wortbalance stört.
Fallen, ins Wort fallen.
- Beissschiene
- Gehörschutz
- Handbandagen
- Schreibbagagen
- Mundschutz
- Maulkorb
- Nasenklemme
- Augenklappe
- Kopfschutz
- Stahlkappe
- Thermoplastischer Handschuh
- Ellenbogenschoner
[laut] – zurück zur Frage: Jetzt bin ich gerüstet / HOPLITIN….
Anhörung: WAS SCHREIBEN SIE?
Buchmacher: Schreiben Sie?
Wortschöpfende: Ja
Buchmacher: Welchem Genre ist ihr Schreiben zuzuordnen?
Wortschöpfende: Reiseliteratur
Buchmacher: ?Also Sachbuch? Ratgeber?
Wortschöpfende: Nein – hmmmmmmmmmm……………………………………………………………
……….¿……………………………………..¿………………………………………¿………………………. Reisepoesie!
Buchmacher: Ich gewähre Ihnen 3000 Zeichen, um sich zu erklären
Wortschöpfende: Ich schreibe, seit ich mich erinnern kann. Darf ich korrigieren?
B: Ja
W: Ich schreibe Ich spreche nach innen, seit ich mich erinnern kann. Die Welt fällt mir durchs Auge, Augenschacht. Im Winter frieren die Wimpern.
Hinter verschlossenen Lidern ist es einfacher dem Ansturm zu begegnen.
Ich gehe, ich reise allein, ohne feste ABODE. Einsamkeit erfüllt mich nur für Momente, dann zerreissen Störgeräusche, die schrille feedback-Symphony der Welt, die zarte Membran. Die Hinterbliebenen ziehen sich beim Geheul der Warnsirenen und Alarmanlagen vor den Störfeuern in die Schutzbunker zurück.
Meine Notizen, Briefe, Kladden füllen Koffer. Säulen aus Wörterbüchern tragen die Decke über mir. Ich bin in der Wortsteinhöhle, Achtung/ CREVASSE/ Schädelspalte. Worte entweichen, finden ihre Form: weichgespeichelt gesprochen, linkshändig notiert und mit dem Einfinger, Bleifinger über die Tastatur galoppiert. Ich ziehe einen Karteikartenschrank, Worthub, Löffelhund, hinter mir her. Gerade denke ich über ein mobileres Modell nach, eine Kraxe zum Transport der Reiseverbathek. Ich werde mir bei HOLYART eine Nonnenweste kaufen für meine allmorgendliche Lesestunde, mein Gaumenfutter. Ich halte Andacht auf dem Sofa, beschreibe Oblaten. Taste mich durch Texte, probiere Töne. Schnabelgepicke, Jubelgesang. Täglich geht die Welt unter. Choral. …………… ……………… …………….. ……………….. …… …………… ………. …………. …………. …… ………………………. ……….. …………… …………….. …. ……….. …….. …….. …………… …. …………. …. ………………… …… ……………….. ….Duden, Webster, Le Petit Pierre, ein russisch-deutsches Wörterbuch, Grundwortschatz Kartuli Ena, mein Vokabelheft zur Sammlung literarischen Wortschatzes, Reise durch das Wörterbuch, Querverweise, Zeitensprünge: old english, neuhochdeutsch, Slang, das Fremdwörterbuch, Buch der migrierenden Worte, darunter: Das Mittelwort der Leideform der Zukunft.
Notate – meine Passionsspiele. Ich werfe mit Buchstabenkonfetti um mich, laufe Slalom zwischen Wortwimpeln.
Buchmacher: Bitte beantworten Sie die Frage: Was schreiben Sie?
Wortschöpfende: Aus dem Niederschlag (Fallout) der Tagebücher, Blogs, Texten der künstlerischen Recherche, der Oralhistory, der Webarchive und Essays, ins Briefeschreiben gekommen. Mein Arbeitsplatz: Schleudersitz auf Worthose, Am Sprachhorizont tauchen die Hopliten auf: Wer schreibt, wer spricht, postkoloniale Aneignung von Sprachräumen. Ich verkrieche mich, Moment der Unverfügbarkeit, der Vermouthstropfen, die Tollkirsche vom Lavanderbaum, das Reisen hinterfragen, dieses Schneehäutige, aschfahl. Aphasie: Die Suche nach „einem Schreiben, dass sich im Bewusstsein über die eigene Migration befindet, dass sich auch damit auseinandersetzt – aber sich nicht darauf reduziert nur die Migration zu erzählen.“ Nicht postmigrantisch, sondern….Verstehen Sie, Welt ergehen, beschreiten, durchtunneln im Bewusstsein über die eigene Migration – meiner weissen, priviliegierten – so verstehe ich Reiseliteratur. Poetik.
Die Sprachpotenz im Schweigen. Aus dem Traum erwacht mit einem Blatt Papier zwischen den Lippen –
Ich schreibe, DA WO ICH BIN, jeder Ort WortOrt, nicht zu verorten oder doch, wer Zeichen lesen kann, wird einen Ort finden. Nicht unbedingt meinen. Orte sindnicht teilbar. Ich male Alphabete, händisch, mündig, verkrieche mich im Futteral der Sprache, die erstarrte Deutungsstruktur wird poetisch befreit: Bügeln Sie das Bett!
Ich leiste Folge. Die Bäume redeten im Schlaf. Notiere das Eingeflüsterte: Lesen, Verlesen, die Wortlese. Vollmundig. Mundan.
Ihre Frage hilft mir bei dem Versuch meine Gedanken als Exposé für eine mögliche Buchveröffentlichung zu formulieren.
Buchmacher: Ich merke wenig davon, Sie schweifen aus, Sie schweifen ab.
Wortschöpfende: Der übliche Niederschlag, Nachtstaub, Nebelwolken. Ich schalte die langen Lichter an. Zum Glück bin ich nicht allein.
Sie erlauben, ich stelle meine Reisebegleiter:innen vor:
◊ Drei Siamesische Parkwächterinnen in blaugepaspelten Uniformen, zurzeit tragen sie Fliegerröcke, möglicherweise verwandt mit den zwei alten Frauen, die Otar Chiladze in Avelum mit Fetzen ihres Flanell-Hausmantels um den Kopf auf ihrem Balkon tanzen lässt.
◊ Ein wimpernloser Trittbrettfahrer, der zuletzt auf der Rolltreppe unter einer Kapitänsmütze gesehen wurde. Er besitzt zudem ein Sakko mit Schmetterlingsfutter (Zitronenfalter). Lockt mit kostenlosen Träumen.
◊ Ein Parkettbohnerer, der in schwarzen Lackschuhen auf Herzklappen geht, auf dem Parkett selbstverständlich nur barfuss. Romantiker.
◊ Ein parteiloser Friseur*, in dessen begehbarem Spiegelschrank geschätzte dreihundert Frisiermäntel nach Farbkreis geordnet auf HÄSHÖLZERN an der Stange hängen. Er stellt ‚mit nassem Kamm Bezüge her zwischen Inhalten von Parteiprogrammen und Haarschnitten der herrschenden und arbeitenden Klasse‘, (Klassismus im Haarschnitt). Liest gerne Gottfried Benn, Rüdiger Safranski (Das Böse) und Chimamanda Ngozi Adichie.
◊ Ein Folkloreforscher* mit Spezialgebiet Beissschienen und Beischlafposen
◊ Ein Phantombein in roter Riemchensandale auf der Suche nach der heilen Welt
◊ Ein Ich in Mundmantel und Wanderschuhen, stierfüssig. Antichronistin.
Jetzt kann ich es sagen: wir notieren, diktieren, besingen unsere Erlebnisse, unsere Augenblicke, avec les yeux de chair, unsere Erkundungen, unsere Empfindungen, Geschichten der Hinterbliebenen an den Orten, da wo wir sind. Sie können sich vorstellen, da kommt eines zum anderen, polyphon, ein Mäandern, Wortgestöber, die Erzählungen scheiden sich an der Reisskante des Papiers, lies da weiter oder dort. Fussnotige Enthüllungen zum Vokubalar von HOPLITEN bis MENOTTES. Dazwischen sind Karteikarten perforiert eingebunden und können als Innenansichtskarten verschickt werden.
Sagte ich schon, dass ich Postämter liebe und als Alltagsmuseen der Kommunikation verehre? Die Poststempel auf den Briefmarken der Kunstpostbriefe, die ich verschicke, können von den Empfänger:innen als Indizien verwendet werden, anhand derer meine Route auf dem Globus zu rekonstruieren ist – Poststempel versus GPS sozusagen. Der Folkloreforscher verwendet übrigens Briefmarken, um die Löcher in seinen Schuhsohlen zu flicken. In meiner letzten Ausstellung ‚Wortwechsel‘ in Berlin eröffnete ich meine erste Kunstpostfiliale.
Ich frage mich, ob Sie erahnen, was ich schreibe¿
B:Ich möchte mich dazu vorerst nicht äussern. Bitte kommen sie zu einem Ende.
W:Ich fasse zusammen: Ja. Ich schreibe.
1) Reisepoesie (nicht verortet) / Unterkategorie Wortwechsel/Schri(f)ttwerk/ Bsp. Honigtexte
Medium: Kunstbuch, Umfang?, Format?
Verschiedene Papiere, unterschiedliche Leserichtungen (Wege),
Eingearbeitet: Karteikarten, perforiert zum raustrennen
2) Dialogpost: 60 Briefe | 60 Telefone
Medium: Briefmappe (Luftpost) mit 60 Briefen und Audioinstallation mit 60 Telefonen.
Ich lege Ihnen einige Texte aus den Reihen der Senf- und Honigtexte bei…
B: Danke.
W: …und verbleibe in freudiger Erwartung auf eine Fortsetzung des Wortwechsels.
Mit schönen Grüssen
barblina c